Jackie Chan im Interview: „Solange man mir sagt, ich soll Filme drehen, werde ich mein Leben riskieren“

Jackie Chan im Interview: „Solange man mir sagt, ich soll Filme drehen, werde ich mein Leben riskieren“

10. April 2023 Aus Von Thorsten Boose

Die Werbetrommel für Jackie Chans neuen Film „Ride On“, der am 7. April 2023 in den chinesischen Kinos gestartet ist, läuft seit Wochen und Monaten auf Hochtouren. Am Veröffentlichungstag des Films wurde ein Videointerview mit Regisseur Larry Yang, Jackie Chan und der chinesischen Online-Nachrichtenseite The Paper veröffentlicht.

Jackie Chan France hat sich die Mühe gemacht und das chinesische Interview auf Französisch übersetzt. Die Übersetzung des Chef-Redakteurs lässt sich hier nachlesen. Mit dem OK von „Tirry“ war es mir möglich, das Interview nun auf Deutsch zu übersetzen.

Damit Fans Jackie Chan auch sehen können, habe ich das knapp 8-minütige Video auf meinen YouTube-Kanal hochgeladen. Bitte beachtet dort auch die Videobeschreibung. Und nun viel Spaß mit „Interview mit Jackie Chan: Ich bin bereit, mein Leben aufs Spiel zu setzen, solange man mir sagt, ich solle anfangen zu drehen“ (专访成龙:只要喊了开拍,我就可以把命豁出去).

Interview: Jackie Chan x Larry Yang (The Paper, 2023)

Diesmal hast du die Dreharbeiten direkt mit einer Verletzung angefangen. Handelt es sich um eine neue oder eine ältere Verletzung?

Das ist eine alte Verletzung. Vor einem Jahr hatte ich eine Blockade im Rücken, danach musste ich langsam gehen, konnte nicht zu lange stehen und konnte nicht einmal zu lange auf die Toilette gehen. Ich hatte Krücken, als der Regisseur zu mir kam; die Dreharbeiten begannen kurz darauf. Ich hatte Angst, dass ich zu Beginn der Dreharbeiten immer noch an Krücken gehen und nicht so belastbar sein könnte, was ihn sehr unter Druck gesetzt hätte. Also ging ich ins Krankenhaus und ließ mir eine Reihe von Injektionen geben. Das war das letzte Mal. Ich würde es in Zukunft nicht mehr so machen. Ich mache mir keine Sorgen, wenn ich filme. Ich bin ein Mensch, die sein Leben riskieren kann, solange die Kamera eingeschaltet ist.

Welcher Inhalt des Skripts hat dich überzeugt?

Neben den Bezügen zu meinem Leben ist das Drehbuch auch eine Hommage an Stuntmen/Kampfkünstler auf der ganzen Welt. Es gibt viele wahre Geschichten, die mir früher passiert sind. Auch wenn ich einige nicht persönlich erlebt habe, habe ich sie mit eigenen Augen gesehen, war daran beteiligt und sie sind immer noch lebendig in meinem Gedächtnis. Außerdem geht es in der Geschichte auch um die Beziehung zwischen einem Vater und seiner Tochter und den Pferden. Die Geschichte ist ganz und gar nicht eintönig. Sie konzentriert sich nicht nur auf meine Figur. Sie ist sehr umfassend und eine sehr gute Geschichte.

Wieviel Jackie Chan steckt in deiner Figur?

Die meiste Zeit muss ich kaum spielen, genau wie in den vorherigen Filmen. Natürlich hat der Regisseur mir immer wieder gesagt, wie ich mich in Bezug auf seine Vision der Figur zu verhalten habe. Was ich bewusst vermeiden musste, war, so zu spielen, als wäre ich der „große Bruder“, d. h. der Chef, das Familienoberhaupt. Lao Luo ist kein „großer Bruder“, er ist ein altmodischer Kampfkünstler/Stuntman. Ich möchte diesen altmodischen Geist zeigen, ebenso wie eine einsame und sensible Seite. Das war in meinen früheren Filmen nicht üblich.

„Es gibt ein Sprichwort in unserer Filmindustrie, das besagt,
dass Kinder und Tiere das Schwierigste sind, mit dem man filmen.“

Hattest du das Gefühl, dein altes Leben noch einmal zu erleben?

Ja, sehr oft. Altmodische Stuntmen/Kampfkünstler leben von Tag zu Tag, wir sind sehr glücklich, wenn wir zusammen sind, und fühlen uns sehr einsam, wenn wir allein sind. Bevor der Beruf des Stuntmans und Martial-Arts-Schauspieler populär wurde, war man sehr isoliert. Im Gegensatz zu heute hatten einige von uns kein Telefon. Es war früher nicht so einfach, einen Telefonanruf zu tätigen. Erst nachdem wir mit der Arbeit begonnen hatten, konnten alle zusammen Trampolin, Hochsprung, Weitsprung und Boxen trainieren. Nach getaner Arbeit gingen alle zusammen essen und trinken. Damals gab es nicht so viele Unterhaltungsaktivitäten, aber die Gruppen waren sehr eng zusammen und man teilte viele Erinnerungen. Heute ist das anders. Jetzt gibt es die Aufsicht eines Kampfsportlehrers, Krankenpflege, eine von der Produktion bezahlte Versicherung, das Smartphone … In der Vergangenheit sprangen die Stuntmen/Kampfkünstler einfach ab und machten sich keine Gedanken darüber, was sie anziehen würden, um den Sturz abzufangen. Yuen Biao und ich verbanden unsere Knöchel mit zerrissenen Hemden, wenn unsere Füße verstaucht wurden. Manchmal legte ich im Krankenhaus einen Gips an und rannte gleich danach los, um mit allen zu trinken. Das war das altmodische Leben der chinesischen Stuntmen.

Wir sind mit deinen Filmen aufgewachsen und haben unzählige Legenden über dich und deinesgleichen gehört, die „niemals sterben“. Denkst du an das Schlimmste, was passieren kann?

Ja. Aber wenn die Kamera eingeschaltet ist, denkt man an nichts mehr. Bei einem Stunt fängt mein Herz an zu rasen, also rufe ich „Action!“, um nicht mehr zu denken. Bei dem Sprung im Finale von „Police Story“ konnte ich aus dem siebten Stock nichts sehen, ich verließ mich nur auf ein Licht, meine Hände waren verkrampft, und ich rief einfach „Action!“ und rutschte hinunter. Wenn eine Person zu lange oben bleibt, traut sie sich nicht mehr zu springen. Warum konnte ich sieben Tage lang nicht in „Project A“ springen? Weil ich mich festhielt, indem ich auf den Boden schaute. Ich dachte über meine Ausgangsposition nach. Wenn ich mich zu weit nach vorne bewegte, würde ich mir wieder den Fuß brechen. Ich achtete auf das Licht. Wenn es bewölkt war, verschob ich es auf den nächsten Tag. Am Ende sagte Sammo Hung, ich solle mich mit dem Drehen beeilen. Ich ging nach oben und bat Sammo Hung, sich darum zu kümmern, die Szene in Gang zu setzen. Denn ich war zu diesem Zeitpunkt bereits der „große Bruder“ und nur Sammo Hung war mein „großer Bruder“. Sobald die Kamera startete, hörte ich auf zu denken. Also wandte ich diese Methode später auch bei anderen Filmen an, und bei meinen Brüdern war es genauso. Ich sagte ihnen, dass sie nicht den ganzen Tag an den Ort des Geschehens gehen sollten und dass sie sofort filmen müssten, da man sonst zu viel nachdenke.

„Ride On“ ist durch die Zusammenarbeit mit einem Pferd ziemlich speziell. Ist es eine Herausforderung oder etwas Besonderes, mit Tieren zu filmen?

Das ist sehr schwierig. Es gibt ein Sprichwort in unserer Filmindustrie, das besagt, dass Kinder und Tiere das Schwierigste sind, mit dem man filmen. Ja. Es ist sehr schwierig, eine Szene mit einem Tier zu drehen. Es läuft, wann es will, und bleibt stehen, wann es will. Plötzlich gibt es ein Geräusch und es bekommt Angst. Nachdem der Regisseur das Pferd ausgewählt hatte, bat er einen Pferdetrainer, es die ganze Zeit zu trainieren. Auch ich sprach jeden Tag am Set mit ihm. Man bleibt geduldig, liebevoll und nimmt sich Zeit beim Filmen. Wir haben so viele Jahre lang Pferde gefilmt, wir haben auch Erfahrung darin gesammelt, sie zu drehen.

„Das Publikum lässt mich nicht älter werden,
es hat noch mehr Angst als ich, dass ich älter werde.“

Lao Luo im Film ist ein Stuntman/Kampfkünstler, der sich in der neuen Film- und Fernsehumgebung mit einem gewissen Unbehagen konfrontiert sieht. Du stammst selbst aus dieser Zeit. Hast du im wirklichen Leben jemals eine ähnliche Erfahrung gemacht?

Sehr viele sogar, zu viele. Ich habe zum Beispiel mit Arnold Schwarzenegger in den USA einen gemeinnützigen Werbefilm gedreht, bei dem wir nur auf einem Motorrad sitzen mussten. Als der Werbefilm dann veröffentlicht wurde, waren wir beide im Clip plötzlich auf einer Straße, während wir links und rechts Autos auswichen. Der Effekt ahmte eine authentische Situation nach. Das ist es, was ich nicht verstehe. Ich weiß nicht einmal, wie man Fotos bearbeitet, und ich benutze persönlich weder WeChat noch Weibo. Ich kann nur auf die altmodische Art echte Fotos machen. Im wahren Leben bin ich wie „Lao Luo“. Ich bin „authentisch“.

Glaubst du, dass es die chinesischen Stuntmen/Martial-Arts-Schauspieler waren, die jene brillanten Actionfilme der damaligen Zeit (Anm. d. Ü.: die HK-Filme der 80er und 90er Jahre) geschaffen haben, oder lag es an der unterentwickelten Technologie, dass die Stuntmen/Kampfkünstler diese Besonderheit geschaffen haben?

Beides war der Fall. Ich habe auch darüber nachgedacht, die Technologie zu nutzen, um uns zu helfen, aber wir verstehen es nicht, also können wir nur auf diesem Weg weitermachen. Nachdem wir diesen Weg beschritten hatten, wollte das Publikum nur Jackie Chan in echt sehen. Jetzt, wo wir die Mittel und die Ausrüstung haben, trauen wir uns nicht, sie einzusetzen. Das Publikum akzeptiert, dass andere Schauspieler Doubles benutzen, um ihre Handlungen auszuführen, aber sie akzeptieren es nicht von mir, von Wu Jing, von Sammo Hung oder von Yuen Biao. Wenn sie zu Jackie Chan kommen, wollen sie unbedingt sehen, wie ich falle und springe. Sie können jedem dabei zusehen, wie er sich in diesen oder jenen Helden oder Superhelden verwandelt, Spezialeffekte einsetzen, um vom Himmel auf den Boden zu springen, egal wie mächtig sie sind, aber ein Jackie Chan kann das nicht.

Denkst du, dass ein „Actionstar“ zu sein, eigentlich eine Einschränkung für dich bedeutet?

Ja, deshalb muss ich mich ändern. Habe ich mich in den letzten zehn Jahren nicht verändert? Diejenigen, die vor mir da waren, die, die zur gleichen Zeit wie ich da waren, und die, die nach mir kamen – wie viele echte Actionstars gibt es noch? Mir wurde schon früh klar, dass ich nicht einfach nur ein Actionstar sein konnte, ich wollte ein Schauspieler sein, also habe ich mich verändert. Ich habe „Little Big Soldier“, „The Karate Kid“ und „The Foreigner“ gedreht, um dem internationalen Publikum zu beweisen, dass ich doch ein Schauspieler bin. Die Lebensdauer von Actionschauspielern ist sehr kurz. In meinem Alter bin ich kein Actionschauspieler mehr. Aber es ist den Filmen zu verdanken, die ich zuvor gedreht habe, dass der Regisseur ein solches Drehbuch für mich geschrieben hat. Ich muss kein großer Held sein, sondern kann auch einen einfachen Stuntman/Kampfkünstler darstellen. Niemand hat zuvor ein solches Drehbuch für mich geschrieben, schon gar nicht in den USA. Wenn man an mich denkt, dann für „Rush Hour“, einen Polizisten aus Hongkong … Ich kann nicht ewig ein Polizist sein.

Ist diese Verwandlung darauf zurückzuführen, dass dir auch langsam bewusst wird, dass du vielleicht alt sind?

Natürlich ist mir bewusst, dass ich alt bin. Aber das Publikum lässt mich nicht älter werden, es hat noch mehr Angst als ich, dass ich älter werde. Aber ich kann nicht so tun, als ob sich nichts geändert hätte, und das Publikum täuschen. Ich mache immer noch viele Bewegungen, aber früher konnte ich direkt springen, ohne Seilzüge, aber jetzt kann ich das nicht mehr. Was ich machen kann, werde ich immer selbst machen, weil ich es immer noch gerne mache.

Wenn die Leute über dich sprechen, glauben sie, dass du das Bild des chinesischen Volkes in der Welt repräsentierst. Spürst du dabei Druck oder eine Motivation?

Es ist viel Druck, es stört mich ein wenig. Wenn du dir meine Filme von vor Jahrzehnten ansiehst, habe ich immer patriotische Filme gemacht, die die Chinesen repräsentieren. Das ist tief in mir verwurzelt. In der Zeit, als Hongkong noch nicht zu China zurückgekehrt war, hieß es, ich sei nicht ganz chinesisch. Man sagte, ich sei britisch, aber das war ich nicht. Ich bin einfach in Hongkong aufgewachsen. Alle meine Drehbücher aus dieser Zeit, spiegeln patriotische Gefühle wider, und das wird sich auch nie ändern. Wenn westliche Menschen mich vor vierzig Jahren ansahen, sagten sie, ich sei ein Japaner. Ich antwortete ihnen: „Nein, ich bin Chinese“. Manchmal trage ich einen Tang-Anzug, damit die Leute wissen, dass ich Chinese bin. Ich möchte auch, dass Ausländer unsere chinesische Lebensweise und Kultur verstehen. Wenn Ausländer kommen, bin ich der Erste, der sie auf einen Baijiu einlädt. Wenn sie es nicht mögen, sage ich ihnen, wie köstlich es ist. Ich möchte einfach all diese Dinge fördern.

Es gibt ein Sprichwort, das besagt, dass das goldene Zeitalter der Hongkong-Filme von verschiedenen Filmgesellschaften und ihren Teams geschaffen wurde.

Ja. Wir haben uns gerne gegenseitig herausgefordert. Ich kämpfe mit Sammo Hung, Sammo Hung kämpft mit Yuen Woo-Ping, Yuen Woo-Ping kämpft mit mir, und ich kämpfe mit meinen Brüdern. Mal sehen, wer sich unter den Mitgliedern des Jackie Chan Stuntteams von Sammo Hung, Yuen Woo-Ping und Liu Chia-Liang behaupten kann? Das Kämpfen unter Brüdern hat früher so viel Spaß gemacht. Diese Zeit ist jetzt vorbei. Jetzt gibt es keine Notwendigkeit mehr zu kämpfen.

Wenn du Anfängern gegenüberstehst, bist du dann auch so streng wie mit dir selbst?

Regeln sind notwendig, aber Strenge ist es nicht mehr. Es gibt viele Dinge, die ihnen bei den Bewegungen helfen. Aber wenn man kämpfen will, darf man nicht schummeln. Aber mehr als ein Dutzend Brüder werden ihnen helfen, eine gefährliche Szene erfolgreich durchzuführen. In der Vergangenheit bedeutete ein Aufeinandertreffen an dem einen Tag nicht, dass man sich am nächsten Tag wiedersehe.